Ich sehe Menschen. Viele Menschen. Wir wohnen mitten in der Stadt. Viele Menschen. Ich sehe sie. Vermehrt ohne Maske. Sehe sie lächelnd, grimmig schauend, sprechend. Manche suchen Blickkontakt, andere schauen stur auf den Boden. Wieder andere verströmen positive vibes und die Versuche ich aufzufangen.
Unsere Kinder sind meistens gut gelaunt und wir kommen mit vielen dieser Menschen ganz leicht ins Gespräch. Es werden Nettigkeiten ausgetauscht und Geschichten aus der Vergangenheit erzählt. Manchmal geht so ein Gespräch schon auch mal zwanzig Minuten und es geht in die Tiefe. Neulich erzählte mir eine Frau, dass ihre Ehe nach zwanzig Jahren an einem sehr kritischen Punkt steht. Wie es dazu kommen konnte, dass sie mir das anvertraut hat, wussten wir beide dann auch nicht so richtig. Aber sie meinte zum Abschied: „Das musste jetzt einfach raus. Danke.“
Jeder Mensch hat seine Geschichte. Trägt sie offen mit sich herum oder tief verschlossen in seinem Herzen. Jeder Mensch hat seine Herausforderungen und trägt diese ebenso mit sich herum. Jeder Mensch, trägt auf seine Art eine Maske. Die Momente, wenn die Maske fällt, ich einen Minieinblick in die Geschichte, das Leben und die Gefühle eines Menschen bekomme sind für mich heilige Momente. Meine Kinder sind ganz oft Herzensöffner und ich bin jedes Mal wieder erstaunt wie leicht ich mich nach einem Gespräch mit einer fremden Person fühle, obwohl das Gesagte manchmal schwer wiegt. Oft gehe ich weiter und bin dankbar. Dankbar zu sehen, dass die Schultern der anderen Person etwas lockerer sind. Er oder sie ein Lächeln auf den Lippen trägt, weil Knöpfchen ein „machs gut“ oder „bis bald“ hinterherruft.
Morgens haben wir gerade viele Kämpfe. Es geht um Socken, Zahnbürsten und ungetoastetes Toastbrot. Aus dem Haus zu kommen kostet uns Kraft. Alle vier. Aber wenn wir dann draußen sind und den Weg zur Kita gemeinsam gehen, fällt etwas ab und spätestens wenn wir durch den Torbogen laufen versuche ich das, was Zuhause passiert ist abzulegen und dem Tag eine neue Chance zu geben und offen zu sein, für jede Begegnung die kommt. Heute ist mir das nicht gelungen. Zu müde nach dieser Nacht mit einem zahnenden Sternchen. Mein Gesicht war angespannt und meine Schultern verkrampft. Doch das wurde wahrgenommen. Zwei, drei liebe Worte von den ErzieherInnen und den Kindern in der Kita und ich spürte, wie meine Schultern sich entspannten. Danach konnte ich spazieren gehen. So langsam wie selten, aber ich genoss die Bewegung und die Begegnungen, auch wenn es heute keine Gespräche gab. Irgendetwas scheint die Menschen heute abgehalten zu haben mich anzusprechen. Ich denke der Blick ins Schaufenster hat mir gezeigt was es war.
Aber auch wenn ich heute strenger, müder und angespannter schaue als normal, bin ich doch dieselbe Jasmin wie gestern. Ich trage keine Maske, sondern sage ehrlich, was es gerade schwieriger macht und ich bin sicher, morgen sieht die Welt schon wieder ganz anders aus. Ist es nicht schön, Mensch zu sein?